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Pflegepolitische Forderungen des ZVPÖ

  • Donnerstag, 26. September 2019 @ 17:19
(Beschlossen am 31.7.2019 vom Bundesausschuss des ZVPÖ)

Siehe pflegepolitische Broschüre „Offene Wunde Pflege“



1. Rechte absichern – menschengerecht planen
Das Risiko, aufgrund von Alter oder Erkrankung pflegebedürftig zu werden, hat bisher gesamtgesellschaftlich kaum Eingang in die maßgeblichen Strukturplanungen der Gesundheitsversorgung gefunden. So wird das Kapitel Pflege im „Österreichischen Strukturplan Gesundheit“ lediglich als „Nahtstelle“ zwischen Gesundheit und Sozialen dargestellt. So wie die Gesundheitsversorgung seit Jahrzehnten als grundlegender Baustein der Daseinsvorsorge verstanden wird, die von der Politik voll zu verantworten ist, muss selbstverständlich von nun an auch eine Erweiterung um sämtliche Aspekte der PFLEGE erfolgen.
Wir fordern:
• Verfassungsrechtliche Absicherung der Rechte im Bezug auf alle Aspekte von Krankheit und Pflegebedürftigkeit

o Recht auf selbstbestimmtes Leben
o Recht auf persönliche Freiheit
o Recht der freien Wahl auf Aufenthalt und Wohnsitz
o Recht auf Privat- und Familienleben
o Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit/freie Religionsausübung
o Recht auf öffentlich finanzierte Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit

• Zusammenführung von Gesundheits- und Sozialagenden
• Öffentliche Beauftragung der einheitlichen Versorgungsplanung beider Bereiche in den jeweiligen regionalen Strukturplänen

2. Bestehendes überdenken – Richtiges ausbauen
Im Bereich der Pflegevorsorge sind derzeit das Pflegegeld, der Bundeszuschuss zur 24 h – Betreuung und die Zuwendungen für die Ersatzpflege die bedeutenden monetären Transferleistungen des Sozialministeriums. Im letztveröffentlichten Pflegevorsorgebericht kommt die Ersatzpflege überhaupt nicht mehr vor, obwohl sie eine bedeutende Unterstützung für die pflegenden Angehörigen ist.
Der Bundeszuschuss zur 24 h - Betreuung wurde bisher noch nie wertangepasst und ist inzwischen inflationsbedingt massiv entwertet.
Wir fordern:
• Ausgleich des gesamten Wertverlusts des Pflegegeldes seit 1993
• Deutliche Erhöhung des Pflegegeldes in allen Stufen und dessen jährliche Valorisierung
• Rückkehr zu den ursprünglichen (1993) Bewilligungskriterien der Pflegegeldeinstufung.

• Berücksichtigung der zeitlichen Aufwände für Leistungen der aktivierenden Pflege bei der Einstufung.

• Verdoppelung des Bundeszuschusses für die 24 h - Betreuung und dessen volle jährliche Valorisierung, solange kein anderes System der Finanzierung des Pflegerisikos vorliegt.

• Schaffung von neun Landesstellen zur aktiven Beschäftigung der 24 h - BetreuerInnen nach einem bundesweit einheitlichen kollektivvertraglich ausverhandelten Lohn.

• Rechtsanspruch auf öffentlich bezahlte Kuraufenthalte für pflegende Angehörige

• Rechtsanspruch auf Ersatzpflege für alle Personen ab Pflegestufe 1

• Erstattung der gesamten Kosten der Ersatzpflege


3. LaienpflegerInnen substanziell stärken – Professionelle Leistungsangebote ausbauen

Mehr als jeder zweite pflegende Angehörige ist bereits in Pension. Pflegende Angehörige sind finanziell, organisatorisch, fachlich und psychologisch überfordert. Dennoch wird von der Regierung die Laienpflege als grundlegende Säule favorisiert. Von Freiwilligkeit kann allerdings nicht die Rede sein! Es handelt sich dabei um einen sozio-ökonomischen Zwang, dem zu über 80% angehörige Frauen ausgesetzt sind.
In der professionellen Pflege entstehen zunehmend qualifizierte Arbeitsplätze, wodurch sich ein höherer Beschäftigungsgrad entwickelt. Wichtig ist hier, in der professionellen Pflege, die Durchlässigkeit bei den Ausbildungsstufen. Die formale, vermeintliche Selbstständigkeit der meisten 24 h – Betreuungskräfte ist in Wahrheit eine Abhängigkeit von den Vermittlungsagenturen. Ein möglichst ausgewogener Mix von familialer, zivilgesellschaftlicher und professioneller Sorgeverantwortung ist anzustreben.
Wir fordern:
• Der ökonomische und politische Wert der Freiwilligenarbeit muss durch sozialpolitische Maßnahmen, wie substanzielle Anrechnung von Pflegezeiten in Form von höherem Pensionsbezug oder ordentlichen Anstellungsverhältnissen anerkannt werden

• Der steigenden Nachfrage von Pflegeberufen muss mit einer konsequenten Ausbildungsoffensive in allen Ausbildungsstufen begegnet werden.

• Schaffung eines Ausbildungsfonds für Pflegeberufe

• Abschaffung der Scheinselbstständigkeit. Das Ziel muss die Überführung der 24 h - BetreuerInnen in abgesicherte Anstellungsverhältnisse sein.

• Verbindliche Strukturen und Rechtsunterstützung zur Selbstorganisation für die ArbeiterInnen im Bereich der 24 h - Betreuung

• Niederschwellige Informationsangebote für pflegende Angehörige im Sinne von Pflegedrehscheiben vor Ort - zumindest auf Bezirksebene

• Arbeitsrechtlich abgesicherte Anstellungsverhältnisse für pflegende Angehörige bei Nachweis einer entsprechenden Grundausbildung, die öffentlich finanziert wird.
• Weiterbildung und Ausbau von gewerkschaftlichen Unterstützungsressourcen für betreuende und pflegende Menschen


4. Altersarmut und Pflegebedürftigkeit

Studien belegen, dass arme Menschen häufiger krank sind, als Personen mit ausreichenden finanziellen Ressourcen. Menschen mit geringem sozialen Status haben im Alter mehr Jahre an Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit zu erwarten. Alle bisherigen Regelungen zur Unterstützung der Bedarfspersonen sind nicht frei von Barrieren. Wer sich die Beantragung nicht zutraut, auf Anträge vergisst oder gar nicht über die Möglichkeiten informiert ist, erhält die Leistungen nicht. Altersarmut betrifft wiederum in etwa doppelt so viele Frauen wie Männer.
Wir fordern:
• Niederschwelliger Zugang zu allen Leistungen im Pflegebereich und zu allen Transferleistungen für alle anspruchsberechtigten Personen.

• Als Sofortmaßnahme zur Bekämpfung der Altersarmut: Anhebung der Ausgleichszulagenrichtsätze deutlich über die Armutsgefährdungsschwelle.

5. Stationäre Langzeitpflege - Betreuungsschlüssel als Qualitätsinstrument

Wenn auch derzeit darauf abgezielt wird, möglichst viele zu pflegende Personen im häuslichen Bereich zu versorgen, werden aber dennoch auch die stationären Pflegeinstitutionen weiterhin gebraucht werden.
Auch in Zukunft wird die Betreuung und Pflege in Heimeinrichtungen ausgebaut werden müssen. Die Zunahme der Erwerbsarbeit der Angehörigen und das Alleinwohnen der zu Pflegenden sind einige Gründe dafür.
Die Arbeitsverdichtung durch Personaleinsparung im Langzeitpflegebereich mindert die Qualität der Betreuung und verschlechtert die Zuwendung.
Wir fordern:
• Der Zugang zu Versorgungsangeboten muss am Bedarf orientiert sein und nicht an der Pflegestufe.

• Pflegestufe 4 als absolute Voraussetzung für die Aufnahme in eine institutionelle Pflegeeinrichtung darf nicht umgesetzt werden.

• Erstellung und Verordnung bundesweit einheitlicher Betreuungsschlüssel in allen stationären Einrichtungen.

• Im Bereich der stationären Pflege müssen die Betreiber verbindlich mit unabhängigen Erwachsenenschutzvereinen kooperieren.


6. Interkulturelle Schwerpunktsetzung und Inklusion


Der ZVPÖ versteht die Zuwanderung von Menschen nach Österreich als Notwendigkeit und Chance für die Gesellschaft im Sinne der demographischen Entwicklung. Selbstverständlich müssen die je eigenen kulturellen und religiösen Bedürfnisse ernstgenommen und berücksichtigt werden.
Wir fordern:

• Interreligiöse Inhalte müssen in den Ausbildungen fix verankert werden und durch entsprechende ExpertInnen vermittelt werden.

• Kultursensible Betreuungskonzepte, die auf die jeweiligen religiösen Bedürfnisse abgestimmt sind, müssen auf allen Ebenen in die Pflegepraxis umgesetzt werden.


7. Forderungen zur alternativen Finanzierung

Mit dem Bundespflegefonds eingerichtet und gewährt werden: „Zweckzuschüsse an die Länder und Gemeinden zur Sicherung und zum bedarfsgerechten Aus- und Aufbau des Betreuungs- und Pflegedienstleistungsangebotes in der Langzeitpflege.“ (Bundespflegefondsgesetz)
2017 wurden zusätzlich zu den 2,6 Mrd. € Bundesmitteln für das Pflegegeld ca. 3,5 Mrd. € für pflegefondsfinanzierte Dienst- oder Sachleistungen ausgegeben. 1,36 Mrd. € davon wurden durch Selbstbehalte der privaten Haushalte aufgebracht (39%), 170 Mio. € von den Landesgesundheitsfonds.
Knapp 5 Mrd. € wurden somit 2017 in Summe aus Steuermitteln bestritten, die sich am sog. „Kostendämpfungspfad im Gesundheitswesen“ orientieren müssen.
Wir fordern:

• Aufhebung des Kostendämpfungspfades für alle Bereiche der Gesundheitsversorgung.

• Wir lehnen alle Versuche ab, wieder Regressforderungen oder weitere Selbstbehalte einzuführen.

• Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern zur Finanzierung der Pflege.

• Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage in den Krankenversicherungen

• Anhebung der Körperschaftssteuer

• Nutzbarmachung der Besteuerung der Betriebe auf Basis der Wertschöpfung