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Was tut sich wirklich im Bereich der Pflege?

  • Mittwoch, 25. Mai 2022 @ 14:54
Ein Bericht von einer Veranstaltung mit dem gesundheitspolitischen Berater des ZVPÖ


Am 19.5.2022 fand in Krems unter dem Titel „Pflegenotstand – was tun?“ auf Einladung des ZVPÖ eine Veranstaltung statt, zu der auch Vertreterinnen des Hilfswerks Krems, der Volkshilfe, des Roten Kreuzes und des Behindertenverbands gekommen waren. Zu Gast waren wir im Lokal der Kultur Mitte, wo wir freundlich aufgenommen und bewirtet wurden. Moderiert wurde der Abend von KLS-Gemeinderat Wolfgang Mahrer.

Der Abend begann mit einer kurzen Einleitung von Herbert Fuxbauer, dem Sekretär des ZVPÖ, in der er die Geschichte des Verbands vorstellte und den Anlass der Veranstaltung erläuterte – in Österreich gibt es 2,5 Mio. PensionistInnen, von denen fast alle vom Thema „Pflege“ betroffen sind, sei es als Pflegende oder als Pfleglinge, erstere zumeist weiblich, vielfach ohne Kollektivvertrag und formale Ausbildung arbeitend. Dem ZVPÖ ist das Thema seit mehreren Jahren ein wichtiges Anliegen. Er berichtete über einezu diesem Thema vom ZVPÖ m März 2019 durchgeführte Pflege-Enquete und eine im Ergebnis entstandene ZVPÖ-Pflegebroschüre und begrüßte die Möglichkeit des Austauschs dazu mit Pflegekräften und -verantwortlichen der genannten Hilfsorganisationen.

Im Regierungsprogramm 2019 enthaltene Absichtserklärungen

Rudi Gabriel, gesundheitspolitischer Berater des ZVPÖ, skizzierte zu Beginn seines Referats die Pläne der Regierung zum Thema „Pflege“ wie sie sich im Regierungsprogramm 2019 abbilden. Bereits unter der ÖVP-FPÖ-Vorgängerregierung war 2018 mit der „Gesundheit Österreich Gmbh“ (GÖG) ein nationales Forschungs- und Planungsinstitut für das Gesundheitswesen errichtet worden. Von dieser wurde unter Minister Anschober die „Taskforce Pflege“ etabliert, die den Prozess zur „Erarbeitung von Zielsetzungen, Maßnahmen und Strukturen“ begleitete. In diesen Prozess waren zahlreiche Gruppen aus der Praxis und dem Angehörigenbereich eingebunden, was positiv zu bewerten ist. Der lange diskutierte und schließlich 2021 veröffentlichte Ergebnisbericht ist abrufbar unter
https://www.sozialministerium.at/Services/News-und-Events/Archiv-2021/Februar-2021/Taskforce-Pflege--Ergebnisbericht.html
Wie für neoliberale Verhältnisse üblich wurden allerdings nur Vertreterinnen der „Gesundheit Österreich GmbH“ als Entscheidungsträgerinnen in die Steuergruppe aufgenommen, die Expertinnen aus der Praxis und dem Angehörigenbereich fungieren inzwischen nur mehr als „Sounding Boards“, einem Begriff aus der Managementbereich, der so viel bedeutet wie dass ihre Stimmen gehört und ihre Meinungen gesammelt, aber nicht notwendigerweise berücksichtigt werden.

Weiters befindet sich im Regierungsprogramm 2019 die Pflegeversicherung. Dabei handelt es sich um eine Uralt-Forderung der ÖVP, für die Pflege eine öffentlich finanzierte Versicherung analog zur Kranken- und der nach dem Umlageprinzip organisierten Pensionsversicherung einzuführen. Aufgrund der dadurch zu erwartenden Steigerung der Lohnnebenkosten kam dieser Plan allerdings bis dato nicht zur Umsetzung.

Die Finanzierung der Palliativpflege sollte auf sichere Beine gestellt werden.

Für die Pflege soll der Grundsatz „So viel wie möglich daheim und ambulant, so viel wie nötig stationär“ gelten – was im Klartext, so Gabriel, ein Sich-Verlassen auf ökonomisch günstige Frauenarbeit bedeutet.

Als zentrale Anlaufstellen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollte ein System von Community Nurses etabliert werden, d.h., diplomierte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen vor Ort, die die Betroffenen beraten, Betreuungsangebote sondieren und sie bei Behördenwegen unterstützen. 123 Projekte dafür wurden unter Minister Mückstein bewilligt, das Geld dafür (€ 54,2 Mio.) kam aus EU-Mitteln.

Damit pflegende Angehörige Beruf und Pflege besser vereinbaren zu können, soll Pflegeteilzeit oder -karenz ermöglicht werden, auch um die Krankenversicherungs- und Pensionsansprüche der Pflegenden zu regeln.

Die mobile Pflege soll ausgebaut werden. Für Pflegende sollen Entlastungsangebote wie Ersatzpflege geschaffen werden, wenn sie mindestens sieben Tage in Urlaub gehen oder selber krank werden.

Pflegende Kinder und Jugendliche, sogenannte young carers, sollen entlastet werden. Davon sind 45.000 junge Menschen betroffen.

PflegegeldbezieherInnen sollen Pflegeleistungen über E-Card abrechnen können. Voraussetzung dazu wäre die Erstellung eines Leistungskatalogs, der auflistet, welche Leistungen von der Versicherung abgedeckt sind.

Eine Bürgerinitiative erwirkt das Handeln der Politik

In den meisten dieser Bereiche hat sich seit 2019 wenig bis nichts getan. Nun wurde am 12.5. 2022 wieder einmal eine „Pflegereform“ verkündet, diesmal von Gesundheitsminister Rauch.

Diese Ankündigung ist in erster Linie der Mobilisierung der Bürgerinitiative „Offensive Gesundheit! – Es ist 5 nach 12: Gemeinsam fordern wir die gute Arbeit und faire Bezahlung für alle im Gesundheits- und Langpflegebereich“ geschuldet, die im April 2022 eine entsprechende Petition im Parlament eingebracht hat. Die von Gewerkschaften und Ärztekammer unterstütze Petition hat in kurzer Zeit allein unter den Angestellten von Spitälern und Pflegeheimen über 45.000 Unterschriften erhalten, der Stand der Unterschriften lag am 12.5. bei über 70.000, die Petition ( Hier klicken) kann noch immer unterstützt werden. Diese massive Unmutsbekundung der Betroffenen machte offenbar die politisch Verantwortlichen nervös.

In Windeseile wurde von allen MinisterInnen ein E-Mail-Beschluss eingeholt, wonach sie alle die Punkte der Petition unterstützen und der Beschluss den Chefredeaktionen der wichtigen Zeitungen zugespielt. Das wird jetzt als Pflegereform verkauft. Nur hat die Sache leider einen Haken: Gesetze werden nicht durch Willensbekundungen von MinisterInnen erwirkt, sondern bedürfen der Beschlussfassung als Gesetz im Parlament.

In Österreich, so Gabriel weiter, unterstehen die Pflegeagenden de facto zwei Ministerien: für den Spitals- und Reha-Bereich, wo es um Reparatur und Wiedereingliederung der Betroffenen in den Arbeitsmarkt geht, ist das Gesundheitsministerium, für Menschen mit Langzeitpflegebedarf das Sozialministerium zuständig. Die Ministerien sind formal zwar zusammengelegt, nicht aber die Sektionen. Verkompliziert wird die Sache dadurch, dass die Länder für das Kur- und Heilwesen zuständig sind, der Bund für den großen Bereich „Gesundheit und Soziales“ nur ein Rahmengesetz skizziert.
Auch fehlt bisher in der Verfassung die Verankerung des Grundsatzes, dass jeder Mensch ein Recht auf Pflege hat. Wünschenswert wäre als ein wichtiger Schritt die Herausnahme der Pflegeagenden aus dem Sozialministerium und deren Behandlung durch das Gesundheitsministerium.

Ein Problem ist auch die Auslagerung der Pflege an profitorientierte Unternehmen, eine Entwicklung die für Österreich verhindert werden muss. So hat Orpea, ein französisches Pflegeunternehmen, das in insgesamt 12 Ländern – darunter auch in Österreich – Pflegeeinrichtungen betreibt, seinen Aktienkurs um 5% steigern können, offenbar auf Kosten der in seinen Heimen untergebrachten Pflegebedürftigen. Dem Konzern wurde im Jänner 2022 vorgeworfen, BewohnerInnen in der Residenz in Neuilly systematisch schlecht behandelt zu haben. Hygiene- und Personalstandards sollen, mit dem Ziel, höhere Gewinne zu erzielen, mit Füßen getreten und Mahlzeiten und andere Leistungen rationiert worden sein. Auch in Krems hat die damals von einer ÖVP-Bürgermeisterin regierte Stadt 2011 ihre Anteile an drei ihrer SeniorInnenheime um € 3.500 an die SeneCura verkauft und somit kein Mitspracherecht mehr. Hoffentlich sind die Zustände dort besser als in den Heimen von Oprea.

Gabriel kritisierte, dass die „Kollegiale Führung“ der Krankenhäuser bestehend aus medizinischer Leitung (VertreterIn der Ärzteschaft), Pflegedirektion (VertreterIn des Pflegepersonals) und administrativer Leitung (zuständig für Finanzen, Personal, Öffentlichkeitsarbeit und technische Belange) unvollständig ist, solange es dort keine(n) VertreterIn auch der ArbeitnehmerInnen gibt.

Die Umsetzung der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist solange schwierig, solange es nicht ausreichend ausgebildetes Personal gibt.

Stimmen der Vertreterinnen der Hilfseinrichtungen

Diejenigen, die die Situation aus ihrer alltäglichen Arbeit am besten kennen, sagen, dass in ihren Einrichtungen oftmals Kapazitäten fehlen, PatientInnen aufzunehmen und dies trotz stabilen Personalstands. Die Krankenstände haben in der Pandemie aufgrund von Quarantäneregelungen und Überlastung zugenommen. Die Folge ist, dass vielfach Menschen aus den Krankenhäusern entlassen, z.B. nach Operationen, und sich selbst überlassen werden.

Dafür, dass viele Pflegekräfte den Beruf wechseln, ist der Personalmangel und sind die Rahmenbedingungen verantwortlich. Die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner hat für September 2022 ein „blau-gelbes Pflegepaket“ angekündigt, das mehr Menschen dazu motivieren soll, den Pflegeberuf zu ergreifen. Die anwesenden Vertreterinnen der Hilfsorganisationen fanden, dass der Pflegeberuf attraktiver präsentiert werden muss, dass es dabei nicht nur um „Arsch-Putzen“ ginge. Ein Manko wurde auch in der Tatsache gesehen, dass die Pflege immer noch ein Frauenberuf ist und es daher viele Unterbrechungen gebe, z.B. durch die Geburt von Kindern. Auch sind die Arbeitsbedingungen sehr fordernd. So muss eine mobile Heimhilfe an die fünfzig Mal am Tag und bei jeder Temperatur aus dem Auto aus- und wieder einsteigen. Das Arbeiten mit der FFP2-Maske hat eine zusätzliche Belastung bedeutet.

Auch die Frage, ob für die Ausbildung unbedingt ein Bachelor-Abschluss nötig sei, wie aktuell, wurde aufgeworfen. Grundsätzlich ist wissenschaftliche Ausbildung zu begrüßen, führt aber tendenziell dazu, dass Dokumentation, Abläufe und Prozesse mehr in den Fokus der Ausgebildeten rücken und wenig Zeit für die zu Pflegenden verbleibt. Im Vergleich zu früher, als es noch Krankenpflegeschulen gab, wurde in Krems die Krankenpflegeausbildung vom IMC (International Management Centre) übernommen und kostenpflichtig. Neben Studiengebühren sind auch die Uniformen von den Auszubildenden selbst zu bezahlen. Auch das Modell der Pflegelehre sei nicht das Non plus Ultra, da 14-Jährige in der Regel zu jung sind, um mit Menschen in den letzten Lebensjahren konfrontiert zu werden. Ein Mindestalter von 18, wie bei Hebammen, sei sinnvoller. Auch fehle es häufig an Empathie und Mitgefühl mit anderen. PflegeassistentInnen und PflegefachassistentInnen seien im Vergleich zu diplomiertem Krankenpflegepersonal billige Arbeitskräfte. Auch deshalb ist es schwer, junge Menschen für diesen Beruf zu motivieren. Ein weiterer Faktor, der für die schlechte Bezahlung von Pflegepersonal eine Rolle spielt, ist die Tatsache, dass es sich bei der Pflege zumeist um Frauenarbeit handelt. Dieser hängt das Image nach, dass sie für selbstverständlich gehalten wird, sie hat billig zu sein und „aus Liebe“, am besten kostenlos, zu erfolgen. Diese niedrige Etlohnung hat zur Folge, dass zwei Drittel aller Frauen eine durchschnittliche Pension von € 1.000 bekommen.

Als besonderer Hohn wurde in diesem Zusammenhang die geplante Aufstockung des Rüstungsbudgets um € 10 Mrd. angesehen, an der bloß die Waffenlobbys verdienen. Für die Pflege war bisher nicht einmal eine Investition von einer Mrd. Euro drinnen. Die jetzt angekündigten eineinhalb Milliarden Euro für Pflege wäre bloß das Geld, das von der missglückten Impflotterie übriggeblieben sei. Käme morgen ein Superimpfstoff auf den Markt, würden sich die Ankündigungen der PolitikerInnen, nennenswert in die Pflege investieren zu wollen, bald wieder in Luft auflösen. So besteht die Gefahr, dass alles beim Alten bleibt: Die Menschen müssen sich mit der verbürokratisierten Pflegestufenregelung herumschlagen und mit der Höhe des Pflegegeldes, das ihnen zusteht. In dieser Hinsicht wäre Dänemark ein Modell, das in Österreich Nachahmung finen sollte.

Welch nachrangige Rolle in manchen Bundesländern die Pflegeausbildung einnimmt, wird am Beispiel der Steiermark deutlich. Dort kritisierte der Landesrechnungshof, dass die dafür zuständige „Abteilung 8 - Gesundheit und Pflege“ der steirischen Landesregierung nicht einmal Daten über die gerade in Ausbildung Befindlichen liefern konnte, geschweige denn, die Anzahl der fehlenden Pflegekräfte angeben konnte.

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