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Was bringt die Pflegereform?

  • Samstag, 9. Juli 2022 @ 09:29
Nach zahllosen Ankündigungen hat die Regierung nun doch damit begonnen, eine Pflegereform in Angriff zu nehmen. Sie versucht dies als „großen Wurf“ zu verkaufen, allerdings kann diese Selbstbeweihräucherung nicht immer ganz nachvollzogen werden. Es handelt sich um erste Schritte und um ein Stückwerk.

Womit man eine Verbesserung der Pflegequalität und eine Behebung des Pflegenotstands – gebraucht werden 76.000 zusätzliche Pflegekräfte – erreichen will, sind einerseits kleine Reförmchen für in der häuslichen Pflege Tätige. Andererseits will man den Pflegeberuf ‚attraktivieren‘ und eine bessere Bezahlung für Gesundheits- und Krankenpflegepersonal erreichen.

Hier die Eckpunkte der Reform im Einzelnen:

Pflegende Angehörige

Pflegekarenz/-teilzeit

BISHER:
Pflegekarenz ermöglicht die Abwesenheit der_des Arbeitnehmer_in vom Arbeitsplatz zu Pflegezwecken und ist auf maximal drei Monate befristet. Währenddessen ruht der Entgeltanspruch generell bzw. im Ausmaß der reduzierten Arbeitszeit (Teilzeit). Er_Sie bezieht Pflegekarenzgeld. Diese Möglichkeit haben aber nur Beschäftigte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeiter_innen, Arbeitslose und Notstandshilfebezieher_innen. Während der Pflegekarenz /-teilzeit besteht Kündigungsschutz. Verschlechtert sich der Zustand der zu pflegenden Person um mindestens eine Pflegestufe, kann neuerlich Pflegekarenz beantragt werden. Pflegekarenz kann in Anspruch genommen werden, wenn der_die zu Pflegende mindestens Pflegegeld der Stufe 3 bezieht oder an Demenz erkrankt ist.
NEU: Es wird für Pflegebedürftige mit schweren psychischen Behinderungen und Demenz eine erhöhte Einstufung und eine Erhöhung des Pflegegeldes geben.
NOCH OFFEN: Die Sozialpartner müssen die Details aushandeln.
KRITIK:Mehr als 50% der pflegenden Angehörigen sind Pensionist_innen, d.h., ihnen bringt die Pflegekarenz- /Teilzeitregelung nichts.

Ersatzpflege

NEU:
Zur Ersatzpflege, kann ein Zuschuss bereits ab drei Tagen der Verhinderung der pflegenden Person beantragt werden (bisher ab 7 Tagen). Die IG Pflegende Angehörige fordert die Ermöglichung einer tageweisen Ersatzpflege, z.B. wenn der_die pflegende Angehörige einen Arztbesuch oder einen Kurs zur Weiterbildung in Anspruch nehmen möchte. Aktuell beträgt der Zuschuss zwischen € 1.200 pro Jahr für Pflegestufe 3 und € 2.200 pro Jahr für Pflegestufe 7. Bei Pflege einer Demenzkranken oder minderjährigen Person werden Zuwendungen zwischen € 1.500 pro Jahr (Pflegestufen 1-3) und € 2.500 pro Jahr (Pflegestufe 7) gewährt.

Zuwendungen zu den Kosten von Pflegekursen

Eine solche Unterstützung können pflegende Angehörige maximal in der Höhe von € 200 beantragen, wenn der Pflegling mindestens Pflegegeld der Stufe 1 bezieht.

Angehörigen-Bonus

NEU:
Personen, die sich in der Pensionsversicherung selbst- oder weiterversichert haben und die Angehörige ab Pflegegeldstufe 4 pflegen, soll ein Angehörigen-Bonus von € 750 im ersten Jahr, ab dem zweiten Jahr jährlich € 1.500, gebühren. Nach Protesten der Senior_innenverbände verspricht die Regierung den Bonus auch auf pflegende PensionistI_innen auszuweiten, sofern sie Angehörige ab Pflegestufe 4 betreuen. Deshalb wurde der Angehörigenbonus bei der Beschlussfassung des Pflegepaketes im Parlament nochmals herausgenommen. Die Regierungsparteien versprechen die Gesetzesvorlage dazu, damit auch dieser Punkt mit Jahresbeginn 2023 in Kraft treten kann, zeitgerecht vorzulegen.
KRITIK: Der Angehörigenbonus muss für alle Hauptpflegepersonen ohne Einschränkung auf die Pflegegeldstufe gelten. Die Mitteilung muss verpflichtend erfolgen und es muss gewährleistet sein, dass es ein Rechtsmittel gegen die Mitteilung gibt.

Erschwerniszuschlag

NEU: Für Menschen mit schweren psychischen Behinderungen oder Demenz wird der Wert des Erschwerniszuschlages von 25 auf 45 Stunden pro Monat erhöht. Damit stehen 20 Stunden zusätzlich pro Monat für die Pflege und Betreuung zur Verfügung. Dies schlägt sich bei der Bemessung des Pflegegelds nieder, d.h., Pflegegeldbezieher_innen werden in eine höhere Pflegestufe wechseln. Die Neueinstufung wird von Amts wegen administriert.

Neuerungen für Pflegeberufe

Pflegeausbildungsdatenbank


Erstmals sollen auf Grundlage der Daten der Länder die Zahlen der Auszubildenden im Pflegebereich erfasst werden. Das ist mal ein Anfang.
KRITIK: Was es letztlich bräuchte, wäre ein bundesweiter Personalschlüssel Pflegebedürftige – Pfleger_innen.

Ausbildungsvergütung zur Attraktivierung der Ausbildung in Pflegeberufen

Um den Pflegenotstand zu beheben und mehr Menschen für den Pflegeberuf zu interessieren, werden finanzielle Anreize, sogenannte „Zweckzuschüsse“, in der Höhe von insgesamt € 225 Mio. gewährt, die zu zwei Dritteln vom Bund, zu einem Drittel vom Land kommen sollen: Konkret soll eine finanzielle Unterstützung für die Absolvierung einer Erstausbildung in der Pflegeassistenz, der Pflegefachassistenz sowie im gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege an einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule oder an einer Fachhochschule mit zumindest € 600 pro Monat sichergestellt werden.
Berufsumsteiger_innen werden künftig ein Pflegestipendium von € 1.400 Euro im Monat erhalten können. Zudem soll eine Lehrausbildung für Gesundheits- und Krankenpflege für die Pflegeassistenzberufe eingeführt werden. Die diesbezüglichen bereits laufenden Schulversuche an den berufsbildenden Schulen sollen rasch in das Regelschulwesen überführt werden. Dabei sollen nur die Praktika bezahlt werden, die restliche Ausbildung nicht.
KRITIK: Diese „Zuschüsse“ gelten nicht als Einkommen, da keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden, d.h., sie sind weder auf die Pension noch auf Vordienstzeiten anrechenbar. Demgegenüber steht ein reguläres Arbeitsverhältnis bei Polizeischüler_innen mit allen Vorteilen und ca. € 1.820 brutto im Monat ab dem ersten Jahr der Ausbildung.

Pflegelehre

NEU:
Es soll künftig möglich sein, unmittelbar nach Abschluss der Pflichtschule in diese Lehre einzusteigen. Die Ausbildung zum_zur PflegeassistentIn soll drei Jahre dauern, der Abschluss als PflegefachassistentIn vier Jahre. Im vierten Lehrjahr soll das Lehrlingseinkommen € 1.500 im Monat betragen. Die Umsetzung der Pflegelehre beginnt im Schuljahr 2023/24, Pilotprojekte in allen Bundesländern sind möglich.
KRITIK: Es wird keine Altersuntergrenze angegeben – wir halten 15 Jahre für zu jung, um den Pflegeberuf auszuüben: Es ist ein Unterschied, ob man eine Lehre absolviert, in der Fachkenntnisse bei der Arbeit mit Maschinen und Geräten erworben werden oder ob es um das Erlernen einer Arbeit mit zumeist sehr kranken oder alten Menschen geht. Kompetenzverschiebung von der Pflegefachassistenz zur Pflegeassistenz
Kompetenzen von der 2-jährig ausgebildeten Pflegefachassistenz sollen an die 1-jährig ausgebildete Pflegeassistenz weitergegeben werden und die Pflegeassistenz auch nach der Ausbildung weiter in den Krankenanstalten ohne verpflichtende (= bezahlte) Aufschulung weiterbeschäftigt werden.
KRITIK: Schlechter eingestuftes Personal wird mit mehr Aufgaben und Verantwortung belastet, ohne dass es dafür eine finanzielle Abgeltung gibt.

Monatlicher Gehaltsbonus für das Pflegepersonal

Dabei handelt es sich um einen Gehaltszuschuss, für den Bund und Länder gemeinsam aufkommen und der in der Summe € 520 Mio. ausmacht. Diese Hilfsmaßnahme ist auf zwei Jahre befristet, „bis andere notwendige Einsparmaßnahmen“ greifen, sprich: bis genügend Hilfspersonal (PflegeassistentInnen und ausländische Pflegekräfte, deren Ausbildung bis dahin nostrifiziert ist) zur Verfügung steht.
KRITIK: Die Kostenaufteilung zwischen Bund und Ländern wird Gegenstand von Verhandlungen im Herbst sein. Es steht zu befürchten, dass sie die zur selben Zeit stattfindenden Gehaltsverhandlungen torpedieren werden. Gänzlich ungeklärt ist, wer aller diesen Bonus erhält. Nicht geplant ist jedenfalls, mehr Personal anzustellen. Die im Personalschlüssel festgelegten Mindeststandards – Anzahl der Patienten pro Pflegekraft – werden damit nicht verbessert. Dies ist deshalb problematisch, weil die Überlastung der Hauptgrund dafür ist, dass Bedienstete dem Beruf den Rücken kehren. Zudem ist der Gehaltsbonus auf zwei Jahre befristet, „bis andere notwendige Entlastungsmaßnahmen“ greifen. Wie es derzeit aussieht, wirkt sich der Gehaltsbonus nicht auf die Pension aus.

Sechste Urlaubswoche ab 43 Jahren und flächendeckende zwei Nachtdienstausgleichsstunden

KRITIK: Beim derzeitigen Personalstand werden diese Zugeständnisse wieder durch Überstunden der jüngeren Pflegekräfte erarbeitet. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – eine echte Maßnahme der Attraktivierung des Pflegeberufs – wird nicht thematisiert. Die Ausgaben für das Gesundheitssystem sind an das BIP gekoppelt; da dieses nicht wächst, sondern schrumpft, werden die Gesundheitsausgaben auch sinken.

Erleichterungen bei der Zuwanderung von ausgebildeten Fachkräften

Mit billigen Kräften aus Drittstaaten meint man, dem Personalmangel effektiv zu begegnen.

Ausdehnung der 24-Stunden-Betreuung

Ein kleiner Prozentsatz von 24-Stunden-Betreuer_innen wird von einer öffentlichen Körperschaft oder gemeinnützigen Organisation angestellt und pflegt im selben Haus bis zu drei Personen.
KRITIK: Von den Reformplänen profitiert weiterhin nicht das Gros der 24-Stunden-Betreuer_innen, die einen nicht unerheblichen Teil der Pflegeleistungen in Österreich vollbringen. Die Scheinselbständigkeit dieser Berufsgruppe bleibt erhalten und wird nicht durch ein reguläres Angestelltenverhältnis ersetzt. Die Einführung regulärer Arbeitsverhältnisse für 24-Stunden-Betreuer_innen würde € 9 Mrd. kosten. Diese erspart sich der Staat, indem er zulässt, dass weiterhin die Arbeitskraft hauptsächlich von Frauen aus Osteuropa ausgebeutet wird.