Primärversorgung – auf die Perspektive kommt es an!
- Montag, 6. März 2023 @ 16:54
Bundesminister Rauch will bei der Primärversorgung jetzt den Turbo einschalten.
Eine Novelle des Primärversorgungsgesetzes, mit der die Einspruchsrechte der Ärztekammern zu den Standorten und Verträgen eingeschränkt werden sollen, ist in Begutachtung gegangen. Die langjährige Forderung des ZVPÖ zu mehr Zusammenarbeit der einzelnen Gesundheitsberufe in der Primärversorgung findet erste Beachtung.
Der Begriff der Primärversorgung ist, die Bezeichnung für das, was die Menschen zu Recht erwarten. Er beschreibt die erste Anlaufstelle für alle Menschen mit gesundheitsbezogenen Anliegen und damit den Schlüssel zur Gesundheitsversorgung. Hier soll das Bewusstsein für Gesundheit gefördert, aktive Gesundheitsvorsorge betrieben sowie eine qualitativ hochwertige und effiziente Krankenbehandlung sichergestellt werden – als Behandlung vor Ort und als Scharnier zu den fachärztlichen stationären Behandlungseinrichtungen. Dazu kommt noch die Schnittstelle zu den öffentlichen und privaten Rehabilitationsdienstleistungen. HausärztInnen sollen mit anderen Gesundheits- und Sozialberufen enger zusammenarbeiten, sei es in einem Zentrum oder in einem Netzwerk. Das Sozialministerium hat im Rahmen der Corona-Aufbaukredite der Europäischen Union zur Stärkung und Attraktivierung der Primärversorgung mit Mitteln in der Höhe von 100 Mio. Euro erfolgreich eingereicht. Damit werden nun Primärversorgungsprojekte mit viel Geld aus Brüssel gefördert. Die Gründung wird bis zu 1,6 Mio. Euro, der Ausbau bestehender Einrichtungen mit bis zu 200.000 Euro bezuschusst. In Österreich gibt es derzeit (mit Stand Februar 2023) 39 Primärversorgungseinheiten (PVE). Lediglich vier davon sind bisher in Netzwerken organisiert. Von Seiten des ZVPÖ wurde seit Bestehen des Primärversorgungsgesetzes kritisiert, dass die Rolle der Sozialversicherungen als autonome Projektgründer von PVE an die letzte Stelle des Auswahlverfahrens gereiht worden ist.
Die Versorgung am Land
Dem berechtigten Wunsch nach niederschwelliger Erreichbarkeit im ländlichen Bereich wurde bei der Abfassung des Primärversorgungsgesetzes insofern Rechnung getragen, als die engere Zusammenarbeit der LandärztInnen angestrebt wurde. Leider dominieren derzeit von Seiten der relevanten Entscheidungsträger hauptsächlich Förderinstrumente für Zentrumslösungen. Der ZVPÖ kritisiert hier, dass eine eigenständige Förderung für Primärversorgungsnetzwerke bisher nicht öffentlich gemacht wurde.
Der ZVPÖ erinnert nachdrücklich daran, dass im Primärversorgungsgesetz keine Bestimmungen zu den oder über die Eigentumsverhältnisse der konkreten Immobilien festgelegt worden sind. Somit können private Rechtspersonen allein oder gemeinsam mit öffentlichen Rechtsträgern oder auch (mehrere) öffentliche Rechtsträger Immobilien in ihrem Eigentum als Vermieter an eine PVE bewirtschaften, solange die Voraussetzungen für Barrierefreiheit gegeben sind.
Wie sich bereits zeigt, sind auffällig oft die PVE betreibenden ÄrztInnen auch MiteigentümerInnen an den Immobilien mit den neu entstandenen PVE-Standorten. Somit entstehen als Private Public Partnership getarnte Gesundheits- oder Sozialzentren in privater Hand. Mit anderen Worten: Die regelmäßigen Mietzahlungen der BetreiberInnen einer PVE fließen so als Mieteinkünfte direkt in die Taschen der privaten ImmobilienbesitzerInnen, die oft Betreiber der PVE sind.
Nach 66 Jahren braucht es endlich einen großen Wurf
Das von den österreichischen Ärztekammern für lange Zeit einzementierte Konzept der reinen standortgebunden Hausarztversorgung beginnt zunehmend zu bröckeln. Das Einzelkämpfertum und die ideologische Dominanz des Arztes_ der Ärztin als freie Unternehmer wird von der jüngeren ÄrztInnen-Generation immer weniger unterstützt. Die Work-Life-Balance wird heute völlig anders bewertet wie damals, als vor 40 Jahren noch der „Rund-um-die-Uhr“-Arzt selbstverständlich war.
Eine wirklich grundlegende und ausreichend öffentlich dotierte Systemanalyse des österreichischen Gesundheitssystems, die auch die Herausforderung der Pflege und Sozialarbeit einbindet, hat es ebenso seit über 40 Jahren nicht gegeben. Zudem konkurrieren viele Bereiche, in denen ÄrztInnen außerhalb der Spitäler als Angestellte tätig sind, mit den Angeboten der Krankenkassen für Vertragsverhältnisse: amtsärztliche Tätigkeiten, Arbeits- und Betriebsmedizin, SchulärztInnen-Wesen, Heil-, Reha- und Kurwesen, Gutachtertätigkeiten und Chefärztlicher Dienst in den verschiedenen Versicherungen.
Das Sozialversicherungsorganisationsgesetz 2018 hat dafür gesorgt, dass die berufsständische Aufsplitterung und die regionale Selbstverwaltung der Kassen der Lohnabhängigen deutlich eingeschränkt worden sind. Das beinhaltet, aber auch weniger Bewegungsfreiheit bei den Vertragspartnerverhandlungen zwischen dem Dachverband der Sozialversicherungsträger und den Ärztekammern. Das sichtbarste Beispiel ist, dass die Verhandlungen zu einem neuen fortschrittlichen Leistungskatalog und zur Honorarordnung bei der ÖGK seit 2018 sehr schleppend verlaufen, um es höflich auszudrücken.
Für ein Mehr an Primär-Versorgungsqualität
Wenn wir den Fokus auf die Primärversorgung legen und alle anderen Herausforderungen, die ärztliches Personal verlangen, beiseite lassen, dann wäre zunächst erforderlich, die antiquierte dominante und angehimmelte Position der ÄrztInnen selbst in diesem Bereich zu hinterfragen. Vieles, was der oder die VertragsärztIn jetzt so recht und bisweilen auch schlecht vorbereitet macht, muss künftig klar strukturiert unter Aufwertung der Interdisziplinarität auf die Schultern vieler ExpertInnen gelagert und verteilt werden. Insbesondere im Bereich der Gesundheitsvorsorge, die diesen Namen auch verdienen soll. Selbstverständlich kann das alles auch im Regelwerk der Selbstverwaltung administriert werden. Das Gegenteil von gut ist ja bekanntlich gut gemeint und es gibt auch erprobte Modelle der Vergabe von genügend Vertragsverhältnissen in einigen europäischen Ländern, die das, was der Vizeobmann der ÖGK, Andreas Huss, jetzt einfordert, schon seit Jahren praktizieren.
Die flächendeckende Etablierung von öffentlich betriebenen und finanzierten Gesundheits-, Sozial- und Beratungszentren auf kommunaler Ebene mit einer breiten interdisziplinären Ausstattung mit ExpertInnen – Medizin, Pflege, Sozialarbeit, Physiotherapie, Ergotherapie; Diätologie, Hebammen und Psychotherapie – würde aktuell den unmittelbaren Interessen der Menschen an einer Grundversorgung am besten dienen.
Eine Novelle des Primärversorgungsgesetzes, mit der die Einspruchsrechte der Ärztekammern zu den Standorten und Verträgen eingeschränkt werden sollen, ist in Begutachtung gegangen. Die langjährige Forderung des ZVPÖ zu mehr Zusammenarbeit der einzelnen Gesundheitsberufe in der Primärversorgung findet erste Beachtung.
Der Begriff der Primärversorgung ist, die Bezeichnung für das, was die Menschen zu Recht erwarten. Er beschreibt die erste Anlaufstelle für alle Menschen mit gesundheitsbezogenen Anliegen und damit den Schlüssel zur Gesundheitsversorgung. Hier soll das Bewusstsein für Gesundheit gefördert, aktive Gesundheitsvorsorge betrieben sowie eine qualitativ hochwertige und effiziente Krankenbehandlung sichergestellt werden – als Behandlung vor Ort und als Scharnier zu den fachärztlichen stationären Behandlungseinrichtungen. Dazu kommt noch die Schnittstelle zu den öffentlichen und privaten Rehabilitationsdienstleistungen. HausärztInnen sollen mit anderen Gesundheits- und Sozialberufen enger zusammenarbeiten, sei es in einem Zentrum oder in einem Netzwerk. Das Sozialministerium hat im Rahmen der Corona-Aufbaukredite der Europäischen Union zur Stärkung und Attraktivierung der Primärversorgung mit Mitteln in der Höhe von 100 Mio. Euro erfolgreich eingereicht. Damit werden nun Primärversorgungsprojekte mit viel Geld aus Brüssel gefördert. Die Gründung wird bis zu 1,6 Mio. Euro, der Ausbau bestehender Einrichtungen mit bis zu 200.000 Euro bezuschusst. In Österreich gibt es derzeit (mit Stand Februar 2023) 39 Primärversorgungseinheiten (PVE). Lediglich vier davon sind bisher in Netzwerken organisiert. Von Seiten des ZVPÖ wurde seit Bestehen des Primärversorgungsgesetzes kritisiert, dass die Rolle der Sozialversicherungen als autonome Projektgründer von PVE an die letzte Stelle des Auswahlverfahrens gereiht worden ist.
Die Versorgung am Land
Dem berechtigten Wunsch nach niederschwelliger Erreichbarkeit im ländlichen Bereich wurde bei der Abfassung des Primärversorgungsgesetzes insofern Rechnung getragen, als die engere Zusammenarbeit der LandärztInnen angestrebt wurde. Leider dominieren derzeit von Seiten der relevanten Entscheidungsträger hauptsächlich Förderinstrumente für Zentrumslösungen. Der ZVPÖ kritisiert hier, dass eine eigenständige Förderung für Primärversorgungsnetzwerke bisher nicht öffentlich gemacht wurde.
Der ZVPÖ erinnert nachdrücklich daran, dass im Primärversorgungsgesetz keine Bestimmungen zu den oder über die Eigentumsverhältnisse der konkreten Immobilien festgelegt worden sind. Somit können private Rechtspersonen allein oder gemeinsam mit öffentlichen Rechtsträgern oder auch (mehrere) öffentliche Rechtsträger Immobilien in ihrem Eigentum als Vermieter an eine PVE bewirtschaften, solange die Voraussetzungen für Barrierefreiheit gegeben sind.
Wie sich bereits zeigt, sind auffällig oft die PVE betreibenden ÄrztInnen auch MiteigentümerInnen an den Immobilien mit den neu entstandenen PVE-Standorten. Somit entstehen als Private Public Partnership getarnte Gesundheits- oder Sozialzentren in privater Hand. Mit anderen Worten: Die regelmäßigen Mietzahlungen der BetreiberInnen einer PVE fließen so als Mieteinkünfte direkt in die Taschen der privaten ImmobilienbesitzerInnen, die oft Betreiber der PVE sind.
Nach 66 Jahren braucht es endlich einen großen Wurf
Das von den österreichischen Ärztekammern für lange Zeit einzementierte Konzept der reinen standortgebunden Hausarztversorgung beginnt zunehmend zu bröckeln. Das Einzelkämpfertum und die ideologische Dominanz des Arztes_ der Ärztin als freie Unternehmer wird von der jüngeren ÄrztInnen-Generation immer weniger unterstützt. Die Work-Life-Balance wird heute völlig anders bewertet wie damals, als vor 40 Jahren noch der „Rund-um-die-Uhr“-Arzt selbstverständlich war.
Eine wirklich grundlegende und ausreichend öffentlich dotierte Systemanalyse des österreichischen Gesundheitssystems, die auch die Herausforderung der Pflege und Sozialarbeit einbindet, hat es ebenso seit über 40 Jahren nicht gegeben. Zudem konkurrieren viele Bereiche, in denen ÄrztInnen außerhalb der Spitäler als Angestellte tätig sind, mit den Angeboten der Krankenkassen für Vertragsverhältnisse: amtsärztliche Tätigkeiten, Arbeits- und Betriebsmedizin, SchulärztInnen-Wesen, Heil-, Reha- und Kurwesen, Gutachtertätigkeiten und Chefärztlicher Dienst in den verschiedenen Versicherungen.
Das Sozialversicherungsorganisationsgesetz 2018 hat dafür gesorgt, dass die berufsständische Aufsplitterung und die regionale Selbstverwaltung der Kassen der Lohnabhängigen deutlich eingeschränkt worden sind. Das beinhaltet, aber auch weniger Bewegungsfreiheit bei den Vertragspartnerverhandlungen zwischen dem Dachverband der Sozialversicherungsträger und den Ärztekammern. Das sichtbarste Beispiel ist, dass die Verhandlungen zu einem neuen fortschrittlichen Leistungskatalog und zur Honorarordnung bei der ÖGK seit 2018 sehr schleppend verlaufen, um es höflich auszudrücken.
Für ein Mehr an Primär-Versorgungsqualität
Wenn wir den Fokus auf die Primärversorgung legen und alle anderen Herausforderungen, die ärztliches Personal verlangen, beiseite lassen, dann wäre zunächst erforderlich, die antiquierte dominante und angehimmelte Position der ÄrztInnen selbst in diesem Bereich zu hinterfragen. Vieles, was der oder die VertragsärztIn jetzt so recht und bisweilen auch schlecht vorbereitet macht, muss künftig klar strukturiert unter Aufwertung der Interdisziplinarität auf die Schultern vieler ExpertInnen gelagert und verteilt werden. Insbesondere im Bereich der Gesundheitsvorsorge, die diesen Namen auch verdienen soll. Selbstverständlich kann das alles auch im Regelwerk der Selbstverwaltung administriert werden. Das Gegenteil von gut ist ja bekanntlich gut gemeint und es gibt auch erprobte Modelle der Vergabe von genügend Vertragsverhältnissen in einigen europäischen Ländern, die das, was der Vizeobmann der ÖGK, Andreas Huss, jetzt einfordert, schon seit Jahren praktizieren.
Die flächendeckende Etablierung von öffentlich betriebenen und finanzierten Gesundheits-, Sozial- und Beratungszentren auf kommunaler Ebene mit einer breiten interdisziplinären Ausstattung mit ExpertInnen – Medizin, Pflege, Sozialarbeit, Physiotherapie, Ergotherapie; Diätologie, Hebammen und Psychotherapie – würde aktuell den unmittelbaren Interessen der Menschen an einer Grundversorgung am besten dienen.