Willkommen bei ZVPÖ - Zentralverband der Pensionistinnen und Pensionisten Österreichs 

Wem gehört die Sozialversicherung?

  • Mittwoch, 20. März 2024 @ 15:11
Gesundheit Am 13. März organisierte die Zukunftswerkstatt Gesundheitspolitik in der FAKTory (ÖGB-Buchhandlung in Wien) eine hochgradig besetzte und kompetente Podiumsdikussion zum Thema »Wem gehört die Sozialversicherung?« Der ZVPÖ trat als Gründungsmitglied der Zukunftswerkstatt als Mitveranstalter auf.
Michael Graber fasst die Inputs und Diskussionsergebnisse zusammen.

Auf die Bilder klicken, dann werden sie groß!


In Österreich sind über 99% der Bevölkerung krankenversichert und über 2,5 Millionen Menschen beziehen eine Pension aus der Pensionsversicherung. Trotzdem ist die Sozialversicherung im Bewusstsein der meisten Menschen ein mehr oder weniger unbekanntes Wesen, oder eine Art Amt, das man/frau punktuell in bestimmten Fällen kontaktiert muss. Da scheint die Frage, wem die Sozialversicherung gehört, weit weg oder überflüssig. Die Frage ist aber wichtig und leicht zu beantworten: Natürlich gehört sie über die Selbstverwaltung den Versicherten. Allerdings, so einfach wie es scheint, ist die Sache nicht.

Die abgeschaffte Selbstverwaltung

Die Beiträge zur Krankenversicherung setzen sich zu 3,87% aus Beiträgen der Arbeiter und Angestellten und zu 3,78% aus Beiträgen der ArbeitgeberInnen zusammen, die der Pensionsversicherung zu 10,25% bzw. zu 12,55%. Daraus wird die Zusammensetzung der leitenden Gremien der Sozialversicherung abgeleitet. In der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), der Zusammenschluss der ehemaligen Gebietskrankenkassen, die die Beiträge der Versicherten verwaltet, bedeutet das, dass die Versicherten und die ArbeitgeberInnen jeweils »paritätisch« nämlich 1:1 vertreten sind. Diese Parität ist erst 2018 mit der Reform der schwarz-blauen Regierung mit der Zusammenlegung der Krankenkassen erfolgt. In Erinnerung ist noch die großspurige Ankündigung des damaligen Kanzlers Kurz, diese Reform werde eine Patientenmilliarde freimachen. Das Gegenteil war der Fall, sie kostete hunderte Millionen Euro und hinter dem Propagandavorhang wurde eine machtpolitische Verschiebung durchgesetzt.

Vorher war das Verhältnis zwischen Versicherten- und ArbeitgebervertreterInnen 4:1. Real bedeutet aber das heutige »paritätische« Verhältnis ein Übergewicht für die UnternehmerInnen, da meist parteipolitisch abgestimmt wird. Die Zusammensetzung der VersichertenvertreterInnen ergibt sich nämlich aus der jeweiligen Fraktionsstärke nach der letzten Arbeiterkammerwahl und da ist immer ein Schwarzer dabei, der meist mit den ÖVP-nahen UnternehmervertreterInnen mitstimmt, wie der Co-Direktor der ÖGK Andreas Huss berichtete. Im ehemaligen Hauptverband - jetzt Dachverband - der Sozialversicherungsträger ist das Übergewicht der UnternehmervertreterInnen noch größer. Die versicherten ArbeiternehmerInnen haben also keine bestimmende Mehrheit in den Institutionen, die ihre Beiträge verwalten. Es handelt sich immerhin allein in der ÖGK um über 18 Mrd. Euro. (2023).

Ein historisch fortwirkender Trick

Nun stellt sich die Frage, wieso die UnternehmervertreterInnen (in der Regel aus der Wirtschaftskammer) nicht nur eine so starke Stellung in der Krankenversicherung, sondern wieso sie überhaupt in die Krankenversicherung Eingang gefunden haben. Dazu griff Prof. Emmerich Talos in die Entstehungsgeschichte der Krankenversicherung zurück. Die ersten Versicherungsvereine der Arbeiter im 19. Jahrhundert existierten ausschließlich in Form der Selbstverwaltung. Erst als die Sozialversicherung Ende der 80er Jahre des 19.Jahrhunderts auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde, meldete die Bourgeoisie ihr Interesse an, um eine gewisse Kontrolle über die kumulierten Versicherungsbeiträge zu erhalten. Die UnternehmerInnen waren aber nicht die Versicherten, also wie konnte sie in die Selbstverwaltung einbezogen werden?

Der Trick bestand darin, einen Teil der Beiträge der Versicherten durch die UnternehmerInnen einzahlen zu lassen und fortan sie als »Dienstgeberbeiträge« zu deklarieren. Tatsächlich sind sowohl Dienstnehmer- als auch Dienstgeberbeiträge Lohnbestandteile. So sicherten sich Unternehmer Sitz und Stimme in der Selbstverwaltung ohne tatsächlich aus ihren Einkommen in die Versicherung einzuzahlen.

Der Kampf um die »Lohnnebenkosten«

Im gängigen Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit werden die als »Dienstgeberabgaben« genannten Lohnbestandteile als »Lohnnebenkosten« bezeichnet und diese einem ständigen Druck durch die Unternehmerverbände und ihrer publizistischen HelferInnen ausgesetzt. Da man schwerlich direkte Lohnkürzungen durchsetzen kann, versuchen sie es indirekt über die sogenannten Lohnnebenkosten. Jede Verringerung der Dienstgeberabgaben zur Sozialversicherung wäre nichts anderes als Lohnkürzung.
Dem dient auch das Gerede von der »zu hohen Belastung des Faktors Arbeit«, womit in erster Linie eben die sogenannten Lohnnebenkosten, also die Dienstgeberabgaben zur Sozialversicherung gemeint sind.

Die Veranstaltung der Zukunftswerkstatt Gesundheit mündete in die Fragestellung, wie die Versicherten tatsächlich wieder in den Besitz der Sozialversicherung gelangen könnten. Dazu sind neue gesetzliche Maßnahmen notwendig, die den Einfluss der Versicherten stärkt und den der UnternehmerInnen zurückdrängt. Da diese gesetzlichen Grundlagen aber der jeweiligen Regierungsmehrheit im Parlament ausgesetzt sind, wäre auch die verfassungsrechtliche Verankerung der Selbstverwaltung notwendig.

In der Diskussion wurde auch die Frage aufgeworfen, wie die Sozialversicherung und die Selbstverwaltung wieder näher ins Bewusstsein der ArbeiterInnen und Angestellten gerückt werden könnte. In Deutschland gibt es etwa alle sechs Jahre die Sozialwahlen für die einzelnen Versicherungsträger. In Österreich könnte eine solche Wahl der VersicherungsvertrerInnen zusammen mit der Arbeiterkammerwahl organisiert werden.

Fotos: Herbert Fuxbauer