ZVPÖ-Besuch in Graz
- Dienstag, 7. Mai 2024 @ 07:40
Am 24.4. stattete der Bundesarbeitsausschuss des ZVPÖ dem Grazer Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer und anschließend der Pflegedrehscheibe einen Besuch ab. Dabei konnten wir mehr über das Grazer Modell der Anstellung pflegender Angehöriger in Erfahrung bringen und vor Ort sehen, was unter einer „Drehscheibe“ in den Bereichen Gesundheit und Pflege zu verstehen ist.
In Graz wird mit einem dichten Versorgungsnetz einerseits den Problemen der aus den vielfältigsten Gründen gesundheitlich belasteten Menschen Rechnung getragen, andererseits werden die Arbeitsbedingungen der in diesen Bereichen Tätigen laufend verbessert und unbezahlte Arbeit nach Möglichkeit reduziert.
Das Grazer Pilotprojekt zur sozialrechtlichen Absicherung pflegender Angehöriger
Ziel des Pilotprojekts ist es, pflegende Angehörige, zumeist noch nicht in Pension befindliche ältere Frauen, mit einer Anstellung vor Altersarmut zu schützen. Der Pflegling muss Pflegegeldempfänger ab Pflegestufe 3 und in Graz wohnhaft sein, die pflegende Person und der Pflegling müssen aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben.
Die pflegende Person muss eine Vertretung für Zeiten von Krankheit oder Urlaub namhaft machen (Ersatzpflege), die vom Sozialministerium bezahlt wird. Sowohl der_die Pflegende als auch ihre Vertretung müssen einen 8-stündigen Erste-Hilfe-Kurs sowie einen zweistündigen Basiskurs „Grundlagen zur Pflege“ absolvieren, wobei die Stadt Graz die Kosten dafür übernimmt. Die pflegebedürftige Person hat einen auf Grundlage des Pflegegeldes berechneten Selbstbehalt von 50% zu bezahlen, bei Pflegestufe 4 z.B. wird mit einem Pflegebedarf von 30 Wochenstunden gerechnet, der sich daraus ergebende Selbstbehalt beträgt € 1.700.
Über die Anstellung entscheidet letztlich das Grazer Sozialamt. Für die Qualitätssicherung sind ebenfalls Amtssachverständige für Pflege der Stadt Graz zuständig – sie erheben den Bedarf, prüfen die Eignung und statten regelmäßig Hausbesuche ab. Pflegende Angehörige müssen ihre Arbeit dokumentieren. Um sicherzustellen, dass auch außerhalb der Amtszeiten der Amtssachverständigen Ansprechpersonen für die pflegenden Angehörigen zur Verfügung stehen, sind diese in das Betreuungssetting der mobilen Dienste integriert, wodurch bis 22.00 Uhr eine diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson kontaktiert werden kann.
Bisher wurden 15 pflegende Angehörige im Rahmen des Pilotprojekts angestellt. Die Stadt Graz kommt zu 100% für die Bezahlung der pflegenden Angehörigen auf auf, die Kosten dafür sind geringer als eine Unterbringung der pflegebedürftigen Person in einem Heim. Die zu pflegende Person hat den Vorteil, dass sie möglichst lange in ihrer vertrauten Umgebung bleiben kann.
Geriatrische Gesundheitszentren
Diese sind spezialisiert auf die Betreuung und Versorgung älterer Menschen und stehen diesen professionell zur Seite. Das umfangreiche Angebot umfasst mit der Albert Schweitzer Klinik, dem Albert Schweitzer Hospiz, den Pflegewohnheimen, betreuten Wohnformen und Tageszentren sowie mobilen und reintegrativen Diensten die ganze Bandbreite von stationärer, teilstationärer und ambulanter Versorgung.
Pflegedrehscheibe und Gesundheitsdrehscheibe
Diese beiden sind den Einrichtungen der Geriatrischen Gesundheitszentren vorgelagert.
Die Pflegedrehscheibe gibt es seit 2015 als Anlaufstelle für pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen, die dort rasch und unbürokratisch Hilfe und Information erhalten können. Einerseits werden rechtliche Fragen (Pflegegeld, Zuschüsse, Pflegekarenz, -teilzeit, Erwachsenenvertretung, Vorsorgevollmacht) beantwortet, andererseits gibt es Beratung zu verfügbaren Betreuungsformen (Hauskrankenpflege, 24-Stunden-Betreuung, betreutes Wohnen, Wohnen im Pflegeheim). Die Pflegedrehscheibe arbeitet eng mit Ämtern und Behörden, Tageszentren, Selbsthilfegruppen, Organisationen der Hauskrankenpflege, Ärzt_innen, Sozialarbeiter_innen, Pflege- und Betreuungseinrichtungen und Krankenhäusern zusammen und hilft somit dabei, die bestmögliche Form der Unterstützung zu gewährleisten. Community Nurses (für die Versorgung einer lokal begrenzen Nachbarschaft zugeordnetes diplomiertes Krankenpflegepersonal) übernehmen die nicht mit konkreten pflegerischen Tätigkeiten verbundene Arbeit. Es handelt sich bei der Pflegedrehscheibe um ein kostenloses Angebot, finanziert von der Stadt Graz und dem Land Steiermark.
Die Gesundheitsdrehscheibe gibt es seit zweieinhalb Jahren für Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Krankheitsbilder. Sie soll soziale Barrieren abbauen, auch sprachliche Hürden. Ein elfköpfiges Team aus Community Nurses, Physiotherapeut_in, Sozialarbeiter_in, Psychotherapeut_in und EU-Projektmanager_in stehen Menschen zur Verfügung, die sich mit der Diagnose oder den Auswirkungen und Folgen einer chronischen Erkrankung überfordert fühlen, Fragen zu Ihrer Gesundheit haben oder punktuelle Beratung und Begleitung wünschen. Es handelt sich dabei um ein Primärversorgungzentrum ohne Ärzt_in, wobei niedergelassene Ärzt_innen ihre Patient_innen dorthin zuweisen können, letztere können sich aber auch selbst zuweisen. Die Gesundheitsdrehscheibe ist momentan co-finanziert von der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) und Geldern aus dem INTERREG-Topf des EU-Partnerprojekts „Gesundheit für alle“ mit einem Primärversorgungszentrum in Slowenien. Für die gesundheitliche Versorgung unversicherter Personen kommen € 40.000 im Jahr von der ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse), die der Caritas Marienambulanz zur Verfügung gestellt werden.
Die Hauskrankenpflege
In jedem Grazer Stadtbezirk gibt es zumindest eine Organisation, welche für die Hauskrankenpflege von insgesamt ca. 1.700 Patient_innen zuständig ist (Rotes Kreuz, Caritas, Hilfswerk, Volkshilfe, Sozialmedizinischer Pflegedienst). Für die Inanspruchnahme der Hauskrankenpflege ist ein gewisser Beitrag zu leisten, den die jeweilige Trägerorganisation aus Pflegegeld, Haushalteinkommen und Anzahl der benötigten Stunden ermittelt. Den Kund_innen bleibt aber immer ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von € 1.155,84 (Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für das Jahr 2024) zur Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs. Die verbleibenden Kosten verrechnet die Trägerorganisation direkt mit der Stadt Graz und dem Land Steiermark.
Der Pflegeorientierungsmonat
Unter dem Motto „Pflege ist mehr - Grazer Orientierungsmonat für Pflegeberufe“ können Personen, die an einem Pflegeberuf interessiert sind, einen Monat lang die Arbeitsmöglichkeiten in Gesundheitseinrichtungen kennenlernen (Heimhilfe, Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und diplomierte Pflegefachkraft). Jede_r Teilnehmer_in erhält dafür € 518,44 als Vergütung. Personen, die beim AMS als arbeitslos vorgemerkt sind, können den Orientierungsmonat ebenfalls absolvieren. Auch sie erhalten den Teilnahmebonus in voller Höhe. Von den 50 Teilnehmer_innen im Jahr 2023 hat die Hälft eine Pflegeausbildung begonnen.
Die Stadt Graz arbeitet an vielen Fronten gleichzeitig: um Armut im Alter, bei Krankheit und Pflegebedarf zu verhindern, die bestmögliche gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, Pflegende finanziell und sozialrechtlich abzusichern und den Pflegenotstand zu bekämpfen.
Eine Mammutaufgabe, die sie bravourös löst!