Holen wir uns die Selbstverwaltung der Sozialversicherung zurück!
- Sonntag, 16. Juni 2024 @ 16:56
Am 12.6.2024 hielt Tom Schmid, Professor an der FH St. Pölten, beim ZVPÖ-Wien ein Gastreferat.
Auf die Fotos klicken, dann werden sie groß!
Er erläuterte, wie die türkis-blaue Regierung die Selbstverwaltung massiv geschwächt hat, um den ArbeitgeberInnen noch mehr Macht in einem System zu verschaffen, das sie gar nicht überwiegend finanzieren.
Die Selbstverwaltung wird schlechtgeredet, um Privatkliniken, Pharmaindustrie oder Privatversicherungen zu Einfluss und Geschäften zu verhelfen. Gleichzeitig geht es um Leistungsabbau zum Schaden der Versicherten.
Selbstverwaltung bedeutet, dass VersichertenvertreterInnen die Finanzmittel eigenständig verwalten und selbst über die Verwendung der von den Mitgliedern eingezahlten Beiträge entscheiden. Bei den alle fünf Jahre stattfindenden Arbeiterkammerwahlen wählen die unselbstständig Erwerbstätigen auch die KammerrätInnen, die in die Gremien der Sozialversicherung – Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung – entsandt werden und dort bestimmen, wofür die eingezahlten Beiträge ausgegeben werden.
Die türkis-blaue Regierung hat die Selbstverwaltung durch zwei Eingriffe massiv beschädigt: 2018 durch die Abschaffung der Leistungsausschüsse in der Pensions- und Unfallversicherung und 2019 durch die Einführung der Parität in den Entscheidungsgremien von Gesundheitskasse und Pensionsversicherungsanstalt.
Abschaffung der Leistungsausschüsse
Vor 2000 gab es fast 3.000 VersichertenvertreterInnen, die den Beschäftigten in den Betrieben und auf Sprechtagen komplizierte Rechtsbestimmungen verständlich gemacht und Ansprüche erklärt haben. In den Leistungsausschüssen wurden die Ansprüche der Menschen verhandelt und zuerkannt. Bereits 1993 wurde damit begonnen, die Anzahl dieser FunktionärInnen auf rund 1.000 zu reduzieren. Aktuell gibt es nur mehr so wenige VersichertenvertreterInnen, dass diese kaum mehr Ressourcen haben, um ordentlich zu beraten. Je schlechter die Menschen informiert sind, desto mehr Leistungen, auf die sie Anspruch haben, werden nicht beantragt und gehen ihnen verloren, man spricht von einer Non-Take-Up-Rate, die derzeit bei 45% liegt. Eine Ursache dafür ist auch, dass sich jetzt die Versicherten an das Arbeits- und Sozialgericht wenden müssen, um Rechtsansprüche klären zu lassen, wovor viele zurückschrecken.
Paritätische Besetzung
Mit der eingeführten Parität (Besetzung je zur Hälfte mit VertreterInnen der Arbeitgeber- und der ArbeitnehmerInnenseite) wurden die Entsendungsverhältnisse in den Gremien von Gesundheitskasse und Pensionsversicherungsanstalt massiv zugunsten der Dienstgeberseite verschoben, wodurch es wesentlich schwieriger wurde, Verbesserungen im Leistungsrecht für die Beschäftigten durchzusetzen, weil nun in allen Entscheidungsgremien der Sozialversicherung die ArbeitgebervertreterInnen Entscheidungen blockieren können. Vor 2018 waren in den Gremien der Krankenversicherung 4/5 Dienstnehmer, 1/5 Dienstgeber; in der Pensionsversicherung 2/3 Dienstnehmer, 1/3 Dienstgeber und in der Unfallversicherung ½ Dienstgeber, ½ Dienstnehmer vertreten. Besonders skandalös ist die Einführung der Parität, weil die Arbeitgeber bei der Gesundheitskasse gar nicht versichert, also nicht betroffen sind. Um die Interessen der BeitragszahlerInnen wirksam vertreten zu können, müssen die ArbeitnehmervertreterInnen – die ArbeitnehmerInnen sind es ja, die einzahlen – wieder die Mehrheit in den Gremien der Sozialversicherung bekommen.
Das vorgeschobene Kostenargument
Die Selbstverwaltung ist die billigste Form der Geschäftsführung. Dies belegen folgende Zahlen: Vor der Reform kostete die gesamte Selbstverwaltung € 5 Mio. Diese geringen Kosten waren darauf zurückzuführen, dass die bis 2019 in der Geschäftsführung der gesetzlichen Sozialversicherung ehrenamtlich tätigen 970 VersichertenvertreterInnen nur ein Sitzungsgeld (€ 45 maximal zehnmal pro Jahr) erhielten. Die Regierung Kurz denunzierte diese als Bonzen und bauschte die Kosten der Selbstverwaltung künstlich auf. Offiziell sollte mit dem massiven Abbau der ehrenamtlich tätigen Funktionäre eine „Funktionärsmilliarde“ eingespart werden. Sie wurde in der damaligen Regierungspropaganda als „Patientenmilliarde“ bezeichnet und war, wie mittlerweile von der ehemaligen Sozialministerin Hartinger-Klein im U-Ausschuss zugegeben, ein reiner PR-Schmäh der Presseabteilung der Regierung.
Dem vorausgegangen war ein Krank-Reden der öffentlichen, gesetzlichen Daseinsvorsorge. Dies war umso leichter als Medien, die der Bevölkerung gehörten, wie zuletzt die Printausgabe der Wiener Zeitung, eingestellt wurden. Das Vertrauen der Menschen in das System der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde so nachhaltig beschädigt. Den Menschen konnte z.B. leicht eingeredet werden, sie müssten eine private Pensionsversicherung abschließen, um die angeblich vorhandene Pensionslücke zu schließen.
Freiwillige Höherversicherung
Dass es innerhalb des öffentlichen Pensionssystems die Möglichkeit der freiwilligen Höherversicherung gibt, bei der zwar private Versicherungen keinen Gewinn machen, aber der Ertrag für die Versicherten höher ist als bei privaten Pensionsversicherungen, wird meist tunlichst verschwiegen. Mit Hilfe der Medien, zu deren größten Anzeigenkunden private Pensionskassen gehören, wurde und wird so der Weg bereitet für eine Unterwanderung und letztliche Zerstörung der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, die eine Errungenschaft der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung ist.
Mehr Infos dazu:
Pensionsvorsorge: Freiwillige Höherversicherung - Pension aufbessern | KONSUMENT.AT – Hier klicken!
Die Selbstverwaltung wieder bekannt machen
Nur etwa ein Viertel der Bevölkerung kennt die Selbstverwaltung und weiß um ihre Bedeutung Bescheid. Den Versicherten sind weder Namen, noch Mailadresse ihrer VersichertenvertreterInnen bekannt, wodurch Unterstützung und Beratung der Versicherten nicht mehr stattfinden. Dies muss sich ändern, um die Brückenfunktion zwischen Versicherten und ihren Versicherungen wieder zu stärken. Auch gilt es ins Gedächtnis zu rufen, dass – im Gegensatz zu Steuern, die direkt ins Budget fließen und mit denen die Regierung jonglieren kann – hinter jeder Abgabe, die in die Sozialversicherung eingezahlt wird, ein Rechtsanspruch steht.
Fotos: Herbert Fuxbauer
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Er erläuterte, wie die türkis-blaue Regierung die Selbstverwaltung massiv geschwächt hat, um den ArbeitgeberInnen noch mehr Macht in einem System zu verschaffen, das sie gar nicht überwiegend finanzieren.
Die Selbstverwaltung wird schlechtgeredet, um Privatkliniken, Pharmaindustrie oder Privatversicherungen zu Einfluss und Geschäften zu verhelfen. Gleichzeitig geht es um Leistungsabbau zum Schaden der Versicherten.
Selbstverwaltung bedeutet, dass VersichertenvertreterInnen die Finanzmittel eigenständig verwalten und selbst über die Verwendung der von den Mitgliedern eingezahlten Beiträge entscheiden. Bei den alle fünf Jahre stattfindenden Arbeiterkammerwahlen wählen die unselbstständig Erwerbstätigen auch die KammerrätInnen, die in die Gremien der Sozialversicherung – Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung – entsandt werden und dort bestimmen, wofür die eingezahlten Beiträge ausgegeben werden.
Die türkis-blaue Regierung hat die Selbstverwaltung durch zwei Eingriffe massiv beschädigt: 2018 durch die Abschaffung der Leistungsausschüsse in der Pensions- und Unfallversicherung und 2019 durch die Einführung der Parität in den Entscheidungsgremien von Gesundheitskasse und Pensionsversicherungsanstalt.
Abschaffung der Leistungsausschüsse
Vor 2000 gab es fast 3.000 VersichertenvertreterInnen, die den Beschäftigten in den Betrieben und auf Sprechtagen komplizierte Rechtsbestimmungen verständlich gemacht und Ansprüche erklärt haben. In den Leistungsausschüssen wurden die Ansprüche der Menschen verhandelt und zuerkannt. Bereits 1993 wurde damit begonnen, die Anzahl dieser FunktionärInnen auf rund 1.000 zu reduzieren. Aktuell gibt es nur mehr so wenige VersichertenvertreterInnen, dass diese kaum mehr Ressourcen haben, um ordentlich zu beraten. Je schlechter die Menschen informiert sind, desto mehr Leistungen, auf die sie Anspruch haben, werden nicht beantragt und gehen ihnen verloren, man spricht von einer Non-Take-Up-Rate, die derzeit bei 45% liegt. Eine Ursache dafür ist auch, dass sich jetzt die Versicherten an das Arbeits- und Sozialgericht wenden müssen, um Rechtsansprüche klären zu lassen, wovor viele zurückschrecken.
Paritätische Besetzung
Mit der eingeführten Parität (Besetzung je zur Hälfte mit VertreterInnen der Arbeitgeber- und der ArbeitnehmerInnenseite) wurden die Entsendungsverhältnisse in den Gremien von Gesundheitskasse und Pensionsversicherungsanstalt massiv zugunsten der Dienstgeberseite verschoben, wodurch es wesentlich schwieriger wurde, Verbesserungen im Leistungsrecht für die Beschäftigten durchzusetzen, weil nun in allen Entscheidungsgremien der Sozialversicherung die ArbeitgebervertreterInnen Entscheidungen blockieren können. Vor 2018 waren in den Gremien der Krankenversicherung 4/5 Dienstnehmer, 1/5 Dienstgeber; in der Pensionsversicherung 2/3 Dienstnehmer, 1/3 Dienstgeber und in der Unfallversicherung ½ Dienstgeber, ½ Dienstnehmer vertreten. Besonders skandalös ist die Einführung der Parität, weil die Arbeitgeber bei der Gesundheitskasse gar nicht versichert, also nicht betroffen sind. Um die Interessen der BeitragszahlerInnen wirksam vertreten zu können, müssen die ArbeitnehmervertreterInnen – die ArbeitnehmerInnen sind es ja, die einzahlen – wieder die Mehrheit in den Gremien der Sozialversicherung bekommen.
Das vorgeschobene Kostenargument
Die Selbstverwaltung ist die billigste Form der Geschäftsführung. Dies belegen folgende Zahlen: Vor der Reform kostete die gesamte Selbstverwaltung € 5 Mio. Diese geringen Kosten waren darauf zurückzuführen, dass die bis 2019 in der Geschäftsführung der gesetzlichen Sozialversicherung ehrenamtlich tätigen 970 VersichertenvertreterInnen nur ein Sitzungsgeld (€ 45 maximal zehnmal pro Jahr) erhielten. Die Regierung Kurz denunzierte diese als Bonzen und bauschte die Kosten der Selbstverwaltung künstlich auf. Offiziell sollte mit dem massiven Abbau der ehrenamtlich tätigen Funktionäre eine „Funktionärsmilliarde“ eingespart werden. Sie wurde in der damaligen Regierungspropaganda als „Patientenmilliarde“ bezeichnet und war, wie mittlerweile von der ehemaligen Sozialministerin Hartinger-Klein im U-Ausschuss zugegeben, ein reiner PR-Schmäh der Presseabteilung der Regierung.
Dem vorausgegangen war ein Krank-Reden der öffentlichen, gesetzlichen Daseinsvorsorge. Dies war umso leichter als Medien, die der Bevölkerung gehörten, wie zuletzt die Printausgabe der Wiener Zeitung, eingestellt wurden. Das Vertrauen der Menschen in das System der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde so nachhaltig beschädigt. Den Menschen konnte z.B. leicht eingeredet werden, sie müssten eine private Pensionsversicherung abschließen, um die angeblich vorhandene Pensionslücke zu schließen.
Freiwillige Höherversicherung
Dass es innerhalb des öffentlichen Pensionssystems die Möglichkeit der freiwilligen Höherversicherung gibt, bei der zwar private Versicherungen keinen Gewinn machen, aber der Ertrag für die Versicherten höher ist als bei privaten Pensionsversicherungen, wird meist tunlichst verschwiegen. Mit Hilfe der Medien, zu deren größten Anzeigenkunden private Pensionskassen gehören, wurde und wird so der Weg bereitet für eine Unterwanderung und letztliche Zerstörung der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, die eine Errungenschaft der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung ist.
Mehr Infos dazu:
Pensionsvorsorge: Freiwillige Höherversicherung - Pension aufbessern | KONSUMENT.AT – Hier klicken!
Die Selbstverwaltung wieder bekannt machen
Nur etwa ein Viertel der Bevölkerung kennt die Selbstverwaltung und weiß um ihre Bedeutung Bescheid. Den Versicherten sind weder Namen, noch Mailadresse ihrer VersichertenvertreterInnen bekannt, wodurch Unterstützung und Beratung der Versicherten nicht mehr stattfinden. Dies muss sich ändern, um die Brückenfunktion zwischen Versicherten und ihren Versicherungen wieder zu stärken. Auch gilt es ins Gedächtnis zu rufen, dass – im Gegensatz zu Steuern, die direkt ins Budget fließen und mit denen die Regierung jonglieren kann – hinter jeder Abgabe, die in die Sozialversicherung eingezahlt wird, ein Rechtsanspruch steht.
Fotos: Herbert Fuxbauer